NEUES ZUM URHEBERRECHT DER BILDENDEN KÜNSTLER UND ARCHITEKTEN: VOM ENTSTELLUNGSVERBOT ZUM VERNICHTUNGSVERBOT!

BGH Urteil vom 15.02.2018, Az. | ZR 15/18

Sachverhalt:
Die Kläger sind bildende Künstler und haben für Geschäftsräume der Beklagten im Eingangsbereich eine Brunneninstallation „Quelle des Sonnensystems“ sowie im sogenannten „Stern-Raum“ eine Sterninstallation errichtet.
Bei einer Umgestaltung der Räume der Beklagten wurden beide Installationen zerstört. Es ist streitig, wann die Entfernung erfolgte, ob sie den Klägern angekündigt und ihnen Gelegenheit zur Entnahme der Installationen gegeben wurde.
Die Kläger verlangen Schmerzensgeld gemäß § 97 UrhG in Höhe von jedenfalls 10.000 EUR sowie 14.000 EUR wegen Verletzung ihrer Rechte als Urheber.
Das Landgericht und das Kammergericht Berlin haben (der bisher herrschenden Meinung folgend) die Klagen abgewiesen mit der Begründung, die vollständige Vernichtung eines Werkes unterfalle nicht dem Verbot der Entstellung nach § 14 UrhG.

Das Urteil des BGH:
Nach § 97 UrhG ist zum Schadensersatz verpflichtet, wer das Urheberrecht vorsätzlich oder fahrlässig verletzt. Urheber können wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine Entschädigung in Geld – also Schmerzensgeld – verlangen.
Entgegen der bisher herrschenden Meinung und m.E. vorbei am Wortlaut des Gesetzes hält der BGH es nunmehr für möglich, dass auch die vollständige Vernichtung eines urheberrechtlich geschützten Werks dem Verbot der Beeinträchtigung oder der Entstellung nach § 14 UrhG unterfällt.

§ 14 UrhG:
Der Urheber hat das Recht, eine Entstellung oder eine andere Beeinträchtigung seines Werkes zu verbieten, die geeignet ist, seine berechtigten geistigen oder persönlichen Interessen am Werk zu gefährden.

Konnten viele Kunst-Eigentümer und Bauherren sich bisher relativ sicher sein, dass das Entstellungsverbot sich auf den unverfälschten Zustand des Werks bezieht und dessen Existenz voraussetzt, so meint der I. Zivilsenat des BGH jetzt, dass dies ein zu enges Verständnis des Wortsinns von „Entstellung“ und „Beeinträchtigung“ sei. Der BGH bedient sich hier des Kunstgriffs, dass die in § 14 UrhG erstgenannte Entstellung zwar den Fortbestand des Werkes voraussetzen möge. Dies sei jedoch nur ein besonderer Fall der in § 14 UrhG weiter genannten Beeinträchtigung des Werks. Die Vernichtung des Werks sei nur ein weiterer Fall der Beeinträchtigung. Oder andersherum ausgedrückt: die Beeinträchtigung sei kein Weniger gegenüber der Vernichtung. 

Ausblick:
So sehr bildende Künstler und urheberrechtliche affine Architekten bei der ersten Hälfte des BGH-Urteils frohlocken, es sei doch an einen althergebrachten Grundsatz des Urheberrechts sowie an die zweite Hälfte des Urteils erinnert:

1.) Unverändert bleibt die bisherige Rechtsprechung, dass nicht jedes Bauwerk oder „Architektenhaus“ auch dem Schutzbereich des UrhG unterfällt. Erforderlich ist nach wir vor die Erreichung einer gewissen künstlerischen Gestaltungshöhe, die bei Bauwerken nur in Ausnahmefällen und gerade nicht bei der Planung eines klassischen Einfamilienhauses, Büro- oder Gewerbegebäudes verwirklicht wird.

2.) Eine finale Entscheidung, ob die Kläger Schmerzensgeld bekommen, hat der BGH gerade nicht getroffen, denn die Sache war nach seiner Ansicht nicht entscheidungsreif. Es fehlte im Urteil des KG Berlin die klassische Grundrechtsabwägung (sog. Schaukeltheorie) zwischen den Interessen des Eigentümers, die durch Art. 14 GG geschützt sind und den Interessen des Künstlers, die durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG (Kunstfreiheit) geschützt sind.

Danach werden die Karten in Berlin wieder neu gemischt, wobei der BGH folgende „Segelanweisungen“ gibt:

Es sei zu berücksichtigen, ob es sich bei dem vernichteten Werk um das einzige Vervielfältigungsstück des Werks handele oder ob weitere Stücke existieren. Ferner sei zu berücksichtigen, welche Gestaltungshöhe das Werk aufweist und ob es ein Gegenstand der zweckfreien Kunst sei oder als angewandte Kunst einem Gebrauchszweck dient.

Auf Seiten des Eigentümers können bautechnische Gründe oder das Interesse an einer Nutzungsänderung von Bedeutung sein. Bei Werken der Baukunst oder mit Bauwerken unlösbar verbundenen Kunstwerken werden die Interessen des Eigentümers an einer anderweitigen Nutzung oder Bebauung des Grundstücks oder Gebäudes den Interessen des Urhebers am Erhalt des Werks in der Regel vorgehen, sofern sich aus den Umständen des Einzelfalls nichts anderes ergebe.

Von Relevanz ist auch zukünftig weiterhin, ob der Eigentümer dem Urheber vor Vernichtung Gelegenheit gegeben hat, das Werk zurückzunehmen oder – wenn dies aufgrund der Beschaffenheit des Werks nicht möglich ist – Vervielfältigungsstücke hiervon anzufertigen.